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Irrwege nach Nirgendwo  
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Auch nirgendwo ist irgendwo - Leseprobe

I.

Abschied und das Meer


Mit flatternden Ärmeln winkten die Vorhänge ihn heran. Er blickte auf das Bett zurück, wo sie ausgestreckt, den Rücken zur Hälfte an die Wand gelehnt, lag; der Plastikbeutel, auf dessen Innenseite ihre letzten Atemzüge kondensiert waren, umgab ihr Gesicht wie ein milchiger Schleier. Auf dem Nachtkästchen stand ein leeres Glas, der Boden noch von ein paar Tropfen Milch bedeckt. Milch war gut, hatte er einmal gehört, so wurde einem nicht schlecht; der Plastikbeutel nahm einem die Luft, Sauerstoffmangel im Gehirn, in einem letzten Rausch sah man die Welt noch einmal in buntesten Farben, man starb lächelnd, so hieß es.
Die Vorhänge umarmten ihn; er weinte, mit stillen, ehrlichen Tränen. Es war eine Qual für sie geworden, hatte sie ihm erzählt, die Therapien und Medikamente, am schlimmsten aber die enttäuschten Hoffnungen, die zum Schluss nur er noch gehabt hatte.
Mit seinen Tränen flossen die letzten Augenblicke in einer Endlosschleife vor seinen Augen vorbei. Sie war tapfer gewesen, so tapfer; sie hatte ihm zugelächelt; er spürte immer noch den letzten, viel zu flüchtigen Kuss; er würde sie nie wieder küssen. Und dann hatte sie ihn aufgesetzt und die Augen geschlossen; es war vorbei.
Warum sich länger quälen, hatte sie ihn gefragt. Sie waren die ganze Nacht aufgeblieben, hatten sich umarmt und beide geweint; sie hatte ihm gesagt, sie wollte in Würde sterben, nicht dahinsiechen und langsam verfallen.
Die Vorhänge umflatterten wild sein Gesicht; er hatte dagesessen, sie angeschaut und hatte sie festhalten und den Augenblick nie verstreichen lassen und den Geruch ihrer Haare für immer in seiner Nase spüren wollen. Diesen süßen Geruch, der Geborgenheit bedeutete, der für ihn Nacht, Schlaf und Schönheit bedeutete, der für einen Fremden ein Geruch unter Tausenden gewesen wäre, für ihn aber Liebe verhieß.
Sie hatte ihn gebeten, ihr zu helfen. Er hatte geweint, vor Hilflosigkeit und vor Wut; sie hatte ihn gestreichelt und geküsst, ihm tapfer zugelächelt; und sie waren dagelegen und hatten geweint; dann hatte er sie gekauft, vier Packungen.
Die Vorhänge hielten ihn fest in ihren Umarmungen und jagten warme Sommerbrisen durch sein Gewand; ja, es war Sommer, so ein schöner Sommer! Von hier aus sah man das Meer, es glitzerte friedlich in der Sonne. Letztes Jahr waren sie noch im funkelnden Wasser geschwommen, alles wirkte so fern damals. Man konnte die Möwen kreischen hören, fast wie im Takt mit den Wellen, die murmelnd am Strand ausliefen.
Sie hatte sich ruhig sechs kleine Haufen zurechtgerichtet, jeder in einer anderen Farbe, und hatte ein Glas Milch bereitgestellt. Er hatte ihr bloß zugeschaut und geweint, ohne dass er sich dessen bewusst war. Sie hatte alle Haufen, jeden, mit einem Schluck Milch hinuntergeschluckt, ihm sanft zugelächelt und dankbar seine Wange gestreichelt; er würde nie wieder ihre Hand auf seinem Gesicht spüren; sie hatte ihm die Tränen von den Lippen geküsst, hatte sich zurückgelehnt, den Beutel aufgesetzt und ihre Augen wie zum Schlafen geschlossen; er hatte nur dagesessen und ihre Hand gehalten, bis ihr Griff erschlaffte. Sie öffnete die Augen kein einziges Mal; es war vorbei.
Er stand im Wirbel der Vorhänge, und der warme Wind schien ihn fortzuwehen, als wäre er ein Häufchen Staub; das Meer funkelte wie damals, im letzten Sommer, als sie den Sonnenuntergang gemeinsam betrachtet hatten. Und der Wind blies durch sein Gewand, das Meer verschwand aus seinem Blick; stattdessen tauchte er in ein Meer von Erinnerungen, die wie Wasserfälle seine Gedanken durchflossen, sich in tausend Regenbogen überschlugen; der Wind suchte ihn aufzuhalten, floss rauschend, zischend, klagend vorbei an seinen Ohren. Und dann: Stille, mit einem Mal, wie ein Paukenschlag einem Orchester Einhalt gebietet. Einzig das Meer rauschte einsam in der Ferne. Kein Schmerz und keine Reue. Sie waren vereint. Gemeinsam im Leben und im Tod vereint.

 

II.

Vladimir


Unsanft wurde Vladimir in seinem Sitz hin und her geschüttelt; er saß alleine in dem kleinen Abteil, auf dessen Boden unzählige Schuhe ein dunkles Dreckmuster gezeichnet hatten, und in dem es bitter nach kaltem Rauch stank. Vor ihm: Eine halb leere Flasche billigen Wodkas, nach der er dann und wann hastig griff, um die kleinen Feuer in seinem Magen damit zu speisen.
Draußen zog in steter Eile die Nacht an ihm vorbei. Verfallene und verfallende Dörfchen und kleine, rotgeziegelte Bahnhöfe, deren Vorsteher schon lange im Bett lagen. Selten auch eine größere Stadt mit ihren hässlichen, betonklotzähnlichen Wohnsilos, wo auf den Bahnhöfen in kleinen Gruppen Prostituierte, totes Fleisch und verlorene Existenzen, grell geschminkter Schmerz, beisammen standen und rauchten, und Penner sich auf den Bänken ihr Nachtlager gerichtet hatten, in der Hoffnung, am nächsten Morgen vielleicht nicht mehr aufzuwachen. Dann: eine weite, vor seinen Augen dunkel verschwimmende Ebene und in deren Mitte ein See, auf dessen glatter, wie zu einem Spiegel erstarrter Oberfläche langsam die Sterne dahinkrochen; ab und zu dann auch ein Fluss, der in weiter Ferne aus dem nachtblauen Vorhang hervorbrach, nur um sich wenig später wieder im selben zu verlieren; über alledem thronte gebieterisch die von milchigen Wolkenschleiern umflossene, perfekt zugespitzte Mondsichel.
Vladimir nahm hastig einen Schluck Wodka und versenkte seine Hände so tief er konnte in die Taschen seines Armeemantels; er reiste nicht allein. Im nächsten Wagon befanden sich fünf Särge, die die sterblichen Überreste fünf seiner Kameraden bargen. Mit sieben war er aufgebrochen, zwei hatte er schon zurückerstattet, mit freundlichen Grüßen vom russischen Staat. Und stets hatte ihn dasselbe Bild empfangen: Weihrauchdurchtränkte Zimmer, schwarzverhangene Spiegel, Kränze, die gleichgültig an den Wänden hingen und lehnten. Frauen, schwarz gewandet, die sich klagend und weinend in den Armen lagen. Männer, aus deren vom Wodka getrübten Augen unkontrollierte Tränen rannen. Und Dankbarkeitsbezeugungen und Segenswünsche für ihn, Vladimir. Wofür überhaupt? Wahrscheinlich für die Gewissheit, die er brachte; Hoffnung hält Menschen am Leben, Gewissheit aber lässt sie abschließen und treibt sie voran.
Er legte den Kopf in den Nacken und entspannte sich; es war bei Gott keine angenehme Aufgabe, die er sich da aufgehalst hatte, sagte er sich, und dachte an das verlorene Stehen inmitten der Angehörigen, das hilflose Schweigen und die Worte, die einem nicht einfallen wollten. Aber so kam er vielleicht auch an ein paar Wochen Heimaturlaub, und wer weiß, wenn er Glück hatte, musste er gar nicht wieder hinunter.
Ilja war der Erste gewesen, den er zurückgebracht hatte; recht hübsch, erinnerte sich Vladimir, einer dieser glattgesichtigen, leicht dunklen Jungen mit krausem Haar, bei deren Anblick die Mädchen richtig dahinschmolzen und -tropften.
Eine verirrte Kugel hatte zufällig den Weg durch seinen Kopf gewählt, als sie vor Grosny eine kurze Zigarettenpause einlegten. Er hatte immer ein Foto seiner Verlobten bei sich getragen, und sie hatten ihn in der Truppe stets deswegen aufgezogen. Vladimir hatte sie kurz gesehen, ein blondhaariges Mädchen, gut gewachsen, mit wassergrünen Augen, sehr hübsch. Sie hatte nur da gestanden und mit ungläubigen, sehnsüchtigen Augen wie eine Traumwandlerin die roh gezimmerte Kiste angestarrt, in der all ihre Erinnerungen und die Zukunft, das, was noch Erinnerung hätte werde können, ihre Kinder, Kindeskinder und alle Generationen, die ihr und ihm nachfolgen hätten können, lagen.
Vladimir hakte ihn in seinen Gedanken ab. Als Nächstes war Dimitrij an der Reihe: verheiratet, Vater von drei Kindern, zerrissen von einer Granate. Dann Igor, ebenfalls verheiratet, Vater eines kleinen Mädchens. Er hatte neben Dimitrij gestanden. Später kam Vladimir, sein Namensgenosse, ein schüchterner, sympathischer Junge, der nie ein Mädchen ansprach und die ganze Zeit von irgendwelchen Dichtern schwärmte. Heckenschützen hatten ihn auf dem Gewissen.
Er dachte an Moskau; dort würde der Herbst die Blätter schon lange entflammt haben. Wie in einem letzten, farbenfrohen Schrei erstarrt, würden sie einem von überallher entgegenblicken, bevor der scharfe Wind sie wegriss. Er freute sich auf die warmen Arme seiner Frau, der erste Tag würde ihr alleine gehören und der zweite seiner Geliebten. Warum betrog er seine Frau denn überhaupt? Seine Geliebte konnte ihm die Träume auch nicht nehmen, genauso wenig wie seine Freunde und der Wodka. Egal, ob er jetzt bei ihr oder bei seiner Frau lag, am Ende war er mit sich selbst und ihnen alleine. Ja, wie ein Maurer vom Mauern errichten und ein Elektriker von der Tätigkeit mit seinen Geräten träumt, so träumt ein Soldat nun einmal vom Töten.
Krieg zerstört Schicksale, sinnierte er, und unwillkürlich fiel ihm das alte Weiblein ein, das er einmal vor langer Zeit am Denkmal „Den Gefallenen des 2. Weltkrieges“ in Moskau umherirren gesehen hatte: Ein paar Blumen in der Hand, hatte sie mit zusammengekniffenen Augen die Tafel mit den Namen der Toten abgesucht; und er hatte traurig überlegt, wie oft sie im vergangenen halben Jahrhundert dem geliebten Toten wohl ihre Aufwartung gemacht haben mochte …
Nach Vladimir würde Pavel kommen, ein echter und ewiger Junggeselle, Schürzenjäger und trinkfest wie ein Bär; ihn hatten sie mit abgeschnittenen Ohren an einem Baum hängend gefunden – war wohl einer feindlichen Patrouille in die Arme gelaufen. Ihre Wut hatten sie dann an Gefangenen ausgelassen, hatten Ohren, Nasen und Finger abgeschnitten, einem die Zunge, hatten mit irrer Befriedigung das Blut auf ihren Händen genossen und das Gefühl, als ihre Messer tief ins wehrlose Fleisch eindrangen, waren wie Tiere im Blutrausch versunken. Und dann das Geschrei und das Flehen; anschließend hatte er sich zwei Tage lang übergeben.
Krieg zerstört Seelen, und selbst wenn man nicht getötet wird, ist man kein Mensch mehr, dachte er und nahm noch einen Schluck Wodka gegen den aufkeimenden Brechreiz.
Der Takt der gegen die Schienen schlagenden Zugräder verlangsamte sich, und die Landschaft vor dem Fenster kam allmählich zum Stehen; der Zug lief in einen Bahnhof ein.
Vladimir erhob sich und streckte den steifen Rücken durch. Er setzte seine schwarze Pelzmütze auf und trat aus dem Abteil. Im Gang pfiff der Wind durch ein undichtes Fenster, als er langsam durch die Verbindungstür zum hinteren Wagon schritt.
Wenn er Glück hatte, dann würde ihn morgen um diese Zeit schon das murmelnde Wasser der Moskwa begrüßen.

V.

Flussbad

 

Wie die Entdecker eines neuen, unerforschten Teiles der Erde kamen sie sich vor. Vorsichtig, tänzelnd, stiegen sie durch das kniehohe Kraut, mit wachsamem Blick stets nach Splittern, spitzen Steinen und Getier aller Art Ausschau haltend. Ihre nassen Badehosen klebten schwer an ihren Oberschenkeln, schickten kleine, kühle Wasserläufe ihre Beine hinunter und juckten im Schritt; aber wozu hatte Gott denn die Hände geschaffen, wenn nicht zur Behebung jenes existentiellen Problems der Mannheit? Um sie herum schienen alle Dinge in der Hochsommerhitze zu Duft zu verdampfen, der ihnen in tausend Nuancen in die Nase stieg, Duft, der morsches Holz, Walderde, Ameisenkot, Grün, Schatten, Schweiß, Abenteuer und Sommer war; irgendwo rechts lachte ein Fluss murmelnd, ein Geräusch, in dem die Versprechung von Erfrischung und angenehmen Schock lag. Ihn, den verborgen Fließenden zu suchen, waren sie ausgezogen.

Unvermittelt lief da der Wald zu beiden Seiten auseinander, und sie traten auf eine Lichtung; Fliegen ließen sich auf ihnen nieder, juckten unangenehm auf der Haut. Mit einem Handstreich wurden die Quälgeister verscheucht, und vorwärts, immer weiter vorwärts ging es. Sie überquerten im Gänsemarsch die Lichtung, auf der die heiße Luft in flimmernder Stille erstarrt lag. Da, eine Baumwand türmte sich vor ihnen auf, das letzte Hindernis! Im Sturm nahm man es, zerkratzte sich an Dornen, bekam hinterlistig zurückschnellende Äste ins Gesicht geschlagen, stapfte in ekelhaft Weiches. Dann schließlich traten sie stolz, die brennende Sonne im Nacken, auf eine weitere Lichtung: das erste Ziel ihrer Reise. Vor ihren Augen lag nun der Fluss in seinem tiefen, blauen Bett und gluckste sie herausfordernd an.

Unentschlossen standen sie für einige Augenblicke lang an seinem schlammigen Ufer, bis der Erste sich schließlich ein Herz fasste: Ein Kampfruf durchschnitt die Waldesstille, gefolgt von einem Klatschen, gefolgt von einem wütenden Schreien: Er war mit dem Hintern auf einem Stein gelandet. Eventuelle Gefahren schienen nun ausgekundschaftet, und sogleich folgten die anderen ihrem Kameraden, die Stelle meidend, wo jener hineingehüpft war.

Herz, das für einen Schlag aussetzte, kaltes Wasser, das mit tausend Fingern gierig nach der Körperwärme lechzte, erstes Atemholen, schlagartig auflebende Sinne. Der Anführer war schon weit nach vorne geschwommen, und die anderen suchten, ihn einzuholen, über ihnen zwinkerte die Sonne durch die majestätische Baumkronen, die sich behütend über sie beugten. Sie sammelten sich an einem abgestorbenen Ast, der einladend aus dem Wasser ragte: bei drei - eins, zwei, drei. Sie gaben sich wieder dem trägen Wasser preis. Vor ihnen weitete sich der Fluss nun, aus dem Schutz des Blätterdachs schwammen sie hinaus unter einen strahlend blauen Himmel. Nun war es so weit, das Abenteuer begann erst richtig.

Das Wasser, das im Schatten lahm und langweilig vorwärts gekrochen war, begann, im glühenden Angesicht der Sonne seine Kraft wiederzuerlangen, und zog und zerrte an ihnen und an ihren Badehosen. Und mit einem Mal verloren sie den Boden unter ihren Füßen. Andere Menschen an den Ufern unterbrachen ihre Sonnenbäder, die meisten blickten nur kurz auf, widmeten den Abenteurern einen Augenblick lang ihre sonnentrunkene, benommene Aufmerksamkeit und vergaßen sie sogleich wieder. Einige aber ließen mit ihren Blicken nicht mehr von ihnen ab, unter ihnen, sehr zur Freude der Helden, einige Mädchen. Wunderschöne Mädchen mit festen Brüsten, die von den knappen Bikinis nur dürftig verdeckt wurden; ihre Gipfel, die sich verlockend darunter abzeichneten, und ihre in der Sonne weiß glänzenden Bäuche luden, nein zwangen richtiggehend zu den weitschweifendsten Fantasien. Die im Fluss Treibenden konnten ihren Duft schon richtig spüren: Ammoniak, Sonnenmilch, Parfüm und süßer Mädchenschweiß, der in der Sonne dampfte.

Doch genug davon! Vor ihnen lag ihre Reise. Sie stießen mit ihren Füßen wieder auf festen Boden; Steine und kantige, scharf zugespitzte Felsbrocken liefen unter ihren Füßen hinweg, die immer höher stiegen, je weiter sie vorwärts kamen, bis sie schließlich in knietiefem Wasser trieben, indes die Strömung immer wahnsinniger an ihnen riss und zerrte. Sie fanden auf den bösen, glitschigen Steinen keinen Halt mehr und wurden hilflos über den hinterhältig spitzen Boden geschleift. Einige, die Schwachen unter ihnen, gaben auf, retteten sich ans Ufer, so lange es noch möglich war und marschierten dort neben ihren Kameraden einher; aber wo kein Kampf ist, gibt es auch keine Ehre!

Die Handvoll Ruhmreiche, die standhaft im Wasser verblieben waren, wurden hinfort gewirbelt, fanden Halt mit ihren Händen, verloren ihn wieder und küssten mit ihren Beinen, Armen, Bäuchen und Hinterteilen Steine und fies stechende sowie kratzende Felsbrocken; über dem Fluss lagen die Schmerzensschreie und das Lachen der mutigen Abenteuer, sie fielen in das Tosen des irrgewordenen Wassers in einer absurden Symphonie mit ein. Unbarmherzig wurden sie von den elementaren Urgewalten zu zwei großen Felsen gezogen, die drohend aus dem Wasser emporstiegen und gleichsam eine Pforte bildeten, durch die das Wasser wie in einer Treppe hindurchfloss. Die mutigen Helden holten tief Luft, sammelten ihre Kräfte und bereiteten sich vor, sie zu durchschreiten.

Da erschallten vom Ufer her Rufe: Die Mädchen in den viel zu knappen Bikinis hatten, wohl in einer beim Anblick der Körper der Abenteurer plötzlich erwachten Laune - oder zumindest dachten dies die Löwenherzigen in ihrer unendlichen Bescheidenheit - begonnen, neben ihnen einher zu laufen. Beine, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen, flogen über hart gebrannten Boden, Staub wirbelte aus dem heißen Schlaf auf, Haare stoben widerwillig in den Wind, Brüste hüpften munter im Takt der Schritte. Mädchenstimmen, klar und hell wie der blaue Sommerhimmel über ihnen, schwirrten durch die Luft, machten auf sich aufmerksam, spornten an, und obwohl die tapferen Helden nicht die Hälfte von dem verstanden, was ihnen zugerufen wurde, und ihre Aufmerksamkeit ohnehin mehr den üppigen, tanzenden Brüsten und den in der Sonne glänzenden Schenkeln galt, holten sie alles, was noch an Kraft in ihren Muskeln vorhanden war, hervor, spannten ihre Arme, wenn sie sie aus dem Wasser schnellen ließen, ganz besonders an und behielten sie länger, als unbedingt notwendig über Wasser. Sie suchten, dramatischer zu wirken, indem sie sich absichtlich gegen Felsen warfen und dann mit herzzereißendem Zähnezusammenbeißen und Gesichtsverziehen jeglichen Ausruf des Schmerzes unterdrückten. Es wirkte; nur hatten sie inzwischen den Fluss vergessen, der diesen Moment der Schwäche natürlich sofort ausnutzte und sie plötzlich hochhob. Einen Augenblick lang schwebten sie in der Luft und klatschten schließlich mit dem Bauch voran auf einen besonders harten Stein, der in purer Bösartigkeit im toten Winkel hinter der Felsenpforte versteckt lag. Vor ihnen erhob sich nun die Brücke, Autos rauschten in steter Eile über sie hinweg. Ihre Reise war nun fast zu Ende.

Das Wasser steigerte sich jetzt zum Gipfel seines Wahnsinns, stieß brodelnde und zischende Flüche auf die trotzigen Abenteurer aus, brauste gegen sie an, schickte ihnen Schwall über Schwall die Kehle hinunter und flutete kratzend in ihre Augen. Es wollte sie abtreiben, gegen den Brückenpfeiler schmettern, am Treibholz, das sich dort gelagert hatte, aufspießen, sodass unsere Abenteurer in einer letzten, heroischen Anstrengung das letzte bisschen Kraft zusammenkratzen mussten, das in ihren müden, schmerzenden Armen vorhanden war, um gegen die Strom anzukommen. Einen Augenblick lang sahen sie sich Auge in Auge mit dem scheinbar dämonisch grinsenden Brückenpfeiler, bevor sie endgültig und haarscharf daran vorbeitrieben und mit hoch erhobenen Häuptern unter der Brücke hindurch schwammen, ein stolzes Lächeln auf den Lippen, Sieger über die Natur.

Allmählich wurde das Wasser wieder sanft. Es gab auf, kapitulierte vor ihnen und trug sie demütig ans Ufer. Ein, zwei Felsbrocken lagen zwar noch böse und hinterhältig auf der Lauer und jubelten richtiggehend auf, als die heldenhaften Abenteurer ihre Füße und Zehen dagegen stießen, doch selbst sie konnten ihnen den Triumph nicht nehmen. Schwer atmend, mit rasenden Herzen, wie aus dem Krieg heimkehrende Soldaten, stiegen sie wieder auf festes Land, bohrten ihre Füße in den warmen Schlamm.

Ihnen entgegen kamen die Mädchen; Duft und Lockstoffe, aber ganz besonders Letztere, umnebelten die tapferen Helden schon aus der Ferne; langsam ging man sich entgegen, unterdrücktes Kichern in den Augen, übertriebenes Selbstbewusstsein schlich sich in den Gang, verschleierte die Unsicherheit. Ein rasches Maßnehmen: hübsche, glatte Gesichter, südlich angehaucht, braun gebrannt, keine Pickel, keine Mitesser, makellos, umrahmt von lockigem Haar, in dem sich weiß glänzend die Sonne verlor. Den mutigen Abenteurern, die gerade eben den Urgewalten der Natur in den Hintern getreten hatten, schlug angesichts dieser Urgewalten der Natur das Herz bis zum Hals. Aber keine Schüchternheit, Schüchternheit mochte niemand. Also: Kopf hoch, Bauch einziehen, am besten so, dass niemand es merkte, einen Hauch von Anspannung durch die Arme schicken! Man begegnete einander, Handflächen tauschten zaghafte Berührungen aus, Namen wurden Gesichtern und Stimmen zugeordnet. Kurze Stille, bis auf die erste, politisch korrekte Bemerkung in selbstironisierendem Stil Lachen folgte, und das erste Eis war gebrochen. Angeregt begann man ein allgemeines Gespräch in der Runde, bis gewisse Präferenzen sich herausbildeten. Schon hatte man sich für den Abend verabredet, und allmählich ebbte das allgemeine Gespräch in viele kleine, intimere ab, die sich je unter vier Augen entsponnen.

Schließlich schlenderte man gemeinsam von dannen, und die heldenhaften Abenteurer ahnten: Nicht lange, und sie würden bald wieder auf Entdeckungsreise gehen, diesmal würde ihr Ziel die duftende Landschaft eines Mädchenkörpers sein, mit all ihren verborgenen liegenden Geheimnissen und Wundern, ein ewiger weißer Fleck auf allen Landkarten.

 

Aus: VI Fabeln und Parabeln
Die wirren Gedankenspiele des Herrn H. an einem Sommertag

 

„Schönes Fräulein, allzu, unendlich leid tut es mir, Sie in Ihrem Gang aufhalten zu müssen, doch konnte ich nicht umher, objektiv und ohne Triebgesteuertheit oder jegliche Hintergedanken festzustellen, wie außergewöhnlich hübsch Sie sind. Oh ja, in der Tat! Unglaublich hübsch! So gepflegte, gesunde Haare, so strahlende Augen – nein, leere Komplimente? Was unterstellen Sie mir denn? Sie erröten? Nein, nicht doch, mein schönes Fräulein nein, wie könnte ich! Natürlich sage ich das nicht zu jedermann, oder besser: zu jederfrau; und selbst wenn, Sie würden es doch nicht hören wollen. Und welch bezauberndes Lächeln Ihre Lippen falten! Oh, natürlich würde ich Sie morgen zu einem Kaffee oder Mineralwasser einladen, liebend gerne! Und ich verspreche Ihnen, ich werde einen ganzen Sack voll Komplimente mitbringen; ja, Sie werden begeistert sein, mehr noch! Und danach könnten wir gleich ein weiteres Treffen vereinbaren, am Abend, Essen zu zweit? Kommt immer gut; ja, der Glanz in Ihren Augen verrät Sie, mein schönes Fräulein, und mir die Gelegenheit. Die Komplimente werden natürlich nicht fehlen, nein, wie könnte ich denn nur die zurechtgeschneiderten Wahrheiten vergessen! ‚Lügen klingt viel zu hart, finden Sie nicht auch? Aber selbst wenn Sie danach verlangen sollten, ich bezweifle, dass Sie sie auch wirklich hören wollen, niemand will die Wahrheit hören; nein, wissen Sie, wie sich das so verhält? Wahrheit ist ja ein schönes Ding, natürlich, sie strahlt so schön und altehrwürdig und edel. Alle wollen wir stets ehrlich sein und Wahrheit sprechen, aber Wahrheit, so hier im Kleinen, dazu vielleicht sogar auch noch radikal, ‚taktlos würde man sagen, ausgedrückt, das, hübsches Fräulein, würde Beziehungen zwischen Menschen unmöglich machen. Alle wissen wir das, doch wer es auch laut auszusprechen wagt, ist ein Schwein; ja, wir Menschen sind seltsame Tiere, nein nicht einmal: Tiere verstellen sich nicht, sie haben auch keinen Grund dazu. Oh, und was für wunderbare edelsteinmeerhimmelazurrbabymeeresdiesundjenesblaue Augen Sie nicht haben! Ich sehe, Sie hören meine Stimme gern - ich die Ihre auch. Aber würden Sie sie auch noch mögen, wenn sie keine schönen Worte mehr trüge? Sie müssen nicht antworten, ja, es war in der Tat eine gemeingefährliche Frage - eine dieser Fragen, wo einem das so sorgfältig zurechtgerichtete, nächste Wort so plötzlich im Hals stecken bleibt und man sich in dieses Lächeln flüchtet, so halb Hilflosigkeit, halb rasche Überleitung zu anderem. Nein, und die Harmonie auf Ihrem Gesicht, ein Meister von einem Bildhauer muss das gewesen sein! Sie wollen mehr hören? Wie, Sie schütteln den Kopf? Aber Ihr Blick spricht da eine ganz und gar andere Sprache! Ja, Schönes über uns hören wir doch alle gerne - Schlechtes oder Ratschläge natürlich auch ein Ratschlag ist ja auch nichts anderes als ein Hinweis auf etwas Besserungswürdiges an uns oder zumindest behaupten wir das ganz gerne von uns selber, das zeugt von unserer seelischen Größe oder wovon auch immer. Ob wir auch darauf hören oder es uns gar zu Herzen nehmen, davon ist ja nicht die Rede. Ja mein Fräulein, natürlich verstehe ich das, Sie müssen weiter. Müssen wir das nicht alle? Ja, heute Abend. Ich werde auf Sie warten und auch ganz geistreich und witzig tun, und ..., oh! Aber sicher, die Komplimente werden auf jeden Fall mit dabei sein, keine Angst. Nun denn, ade, mein schönes Fräulein, ich werde den Abend herbeifiebern; was, nein, ach, Ihren Nacken wieder zu sehen, ich werde ihn heute wohl nicht mehr aus meinen Gedanken bekommen. Sie lächeln, die Etikette verlangt es zurückzulächeln, nein wie gut Ihnen die Röte in den Wangen steht! Adiós, mein hübsches Fräulein. Wie, Sie drehen sich noch einmal um? Ich fühle mich überaus geschmeichelt, aber keine Angst, ich werde nicht davonlaufen, das Lächeln liegt auch noch auf den Lippen. Wissen Sie, ich weiß nicht wieso, aber ich fühle mich ganz erhaben, so als triebe ich auf einer Wolke, können Sie sich das vorstellen? Ach mein schönes Fräulein, Sie lächeln und sind froh, beglückt, bestätigt und beehrt. Ich wette, Sie gehen jetzt nach Hause und werden mit der Zusammenstellung Ihrer Kleidung beginnen, in der Sie am Abend immer noch viel zu beleibt aussehen werden, um dann Ihr Gesicht zu tapezieren sowie die Haare auf und ab zu rösten. Und dann tun Sie so, als wäre dies die Alltäglichkeit schlechthin. 'Was, welcher Aufwand?', werden Sie fragen. Aber Worte der Wertschätzung werden natürlich niemals fehl am Platze sein, wie könnten sie jemals? Kein Problem, ich werde ja dasselbe machen, bis auf das Gesichttapezieren wenn sich das nur irgendwie vermeiden lässt, werde ich es unter Umständen überspringen, denn Sie sehen, wir leben unter Menschen, aber vor allem in einer Zeit, in der die Fassade ausschlaggebend ist, und jeder von uns will sich von seiner besten Seite präsentieren, nur zugeben wollen wir es nicht. Was? ICH? Mich verstellen? Das ist ein allzu radikales Wort, ich bevorzuge da lieber ‚ins rechte Licht rücken. Ja, ja, mein schönes, junges Fräulein, wenn Sie nur wüssten ..., wir sind schließlich doch alle nur Blätter und fallen ein ganzes Leben aneinander vorbei, halten einander im Fallen fest und bilden uns ein, uns zu kennen, und erkennen einander im Grunde nie. Es ist eine traurige Sache. Aber ich will nicht traurig, ich will fröhlich sein und heute Abend mit Ihnen scherzen und lachen und geistreich sein und Ihren Lippen Lächeln entkitzeln! Traurige Menschen werden nie gern gesehen, man schaut sie stets mit einer gewissen Scheelsucht an sie erinnern die anderen nämlich an ihre eigene Traurigkeit. Ist eigentlich ganz verständlich; da ist es am besten, man behält sie für sich und gießt sie in irgendetwas um ... In Kunst vielleicht. Oder man fängt an, gegen Wände zu schlagen oder gräbt Erdlöcher. Sie sind schon weit entfernt, ich erkenne Ihre Gestalt kaum noch, aber Sie werden es mir sicher verzeihen, mein hübsches Fräulein, wenn ich Sie in Gedanken noch ein wenig hier bei mir behalte, nicht wahr? Leute, die einem zuhören, sind heutzutage ja überaus rar geworden. Ich meine, sie, die Leute, spitzen die Ohren schon, und manche zwingen sich sogar, interessiert dreinzuschauen, hinter ihren Augen mahlen sie aber weiterhin ihre eigenen Gedanken und können es kaum erwarten, selber zum Reden zu kommen oder das Gespräch zu beenden, je nachdem, wie viel Zeit sie noch aufzuwenden haben. Doch bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch! Im Grunde genommen mag ich die Menschen, wirklich. Am meisten ihre lärmenden Zusammenkünfte, diese Versuche, der Welt zu entfliehen ja, Flucht vor der Welt, Erlösung von ihr scheint irgendwie ein Urtrieb zu sein, wenn Sie mich fragen. Sicher, Ihr Einwand ist begründet Sie werden jetzt hoffentlich nicht böse werden, wenn ich Ihnen Worte in den Mund lege, oder? Natürlich haben sie auch ihre Fehler, aber wer ist denn schon vollkommen? Sie sehen, man muss die Menschen einfach gern haben, selbst die Misanthropen müssten sie eigentlich mögen; wen würden sie denn sonst verachten und gering schätzen und verdammen, wenn es die Menschen nicht gäbe? Ah, sehen Sie, und so schweifen die Gedanken, mein schönes Fräulein!"

 

Wo bin ich hier gelandet?  
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Das hier ist also meine Homepage, auf der ich mich selber und meine Gedanken, Bücher und sonstigen seelischen Ergüsse der weiten Welt des World Wide Web präsentieren werde.
Es sei darauf hingewiesen, dass diese Website ohne irgendwelcher professioneller Hilfe erstellt, gestaltet und zusammengestückelt wurde, was man ihr wahrscheinlich aber ohnehin anmerken wird. Unterstützend wurde nur auf den Homepage-Baukastensatz von www.homepage-baukasten.de zurückgegriffen (übrigens sehr empfehlenswert).

Viel Vergnügen mit diesem Trümmerhaufen einer Homepage, und vergesst nicht:
Die bestesten Schreiberlinge haben die schlechtesten Homepages!

 
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